Allein in einer Adventsnacht
Eine Adventsgeschichte von Ann-katrin
Der alte Mann rieb sich die Hände. Es war kalt hier, allein unter der alten Brücke, auf der schon so lange keine Autos mehr gefahren waren und unter der schon so lange keine Kinder mehr gespielt hatten. Einzig der kleine struppige Hund leistete ihm Gesellschaft. Doch auch dieser hätte es vorgezogen, in einer warmen Kaffeestube zu sitzen, anstatt hier in der Kälte auf den sicheren Tod zu warten. Beide spürten, wie die Kälte in ihre Glieder kroch und wie ein weißer Schneesturm ihre Körper umhüllte. Der alte Mann hatte schon lange keine Familie mehr, doch die Erinnerung an vergangene Jahre in der sie noch alle beisammen gesessen hatten, seine liebe Frau und die beiden Söhne, war stets allgegenwärtig. Und jetzt verbrachte er den ersten Advent allein. Allein mit einem fremden Hund. Früher hatten er und Louise sich ausgemalt, wie sie inmitten von ihren Kindern und Enkelkindern im Schaukelstuhl Adventsgeschichten vorlesen würden und sich an strahlendem Kinderlachen erfreuen würden. Doch nun war Louise tot, die Familie zerstritten und er war ganz allein. Allein am 1. Advent 2099. Ohne Haus, ohne Familie, ohne irgendjemand, der sich um einen kümmerte. Winselnd vor Kälte rollte sich der kleine Hund zu einer Kugel zusammen. Auch er war allein, hatte keinen Besitzer, keine Familie, niemand der sich um ihn kümmerte. Da waren sie nun, zwei Einzelgänger, die sich in einer kalten Dezembernacht gefunden hatten.
*Hundeaugen blickten in ein faltiges, müdes Gesicht*
Zweifelnd schauten sie einander ins Gesicht. Braune Hundeaugen blickten in ein faltiges, müdes Gesicht. Inzwischen hatte es begonnen zu schneien. Dicke Schneeflocken fielen vom Himmel. Der alte Mann erinnerte sich an seine Kindheit. Wie er im Schnee getobt hatte, zusammen mit Freunden. Damals hatte ihm die Kälte nichts ausgemacht. Damals war das Leben leichter gewesen. Mit glänzenden Augen hatte man zusammen gesessen, Lebkuchen gebacken und zusammen gelacht. Die Zeit hatte alles verändert. Nun war er allein. Allein in einer Großstadt, in der jeder seine eigene Wege ging, in der jeder auf seine eigenen Vorteile bedacht war und in der Liebe und Familie nichts mehr bedeutete.
*Ein Gleichgesinnter*
Alles was ihm blieb war die Zuneigung eines kleinen, zittrigen Hundes, der ebenfalls keinen Platz mehr in dieser Welt hatte. Ein Gleichgesinnter, der lieber die Gesellschaft eines armen, alten Bettlers vorzog, als allein in der warmen Ecke eines der vielen Kaufhäuser der Stadt sich ein Lager zu bereiten. Und auf einmal fiel es dem Mann wie Schuppen von den Augen - er war nicht mehr allein.
Tränen liefen über sein Gesicht, und das Salz seiner Tränen schmolz den Schnee, der sich auf seinem Schnurrbart abgelegt hatte. Noch vier Wochen bis Weihnachten, dachten sie, der Mann und der Hund im selben Moment.
Ich bin nun nicht mehr allein.
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Autorin / Autor: ann-katrin - Stand: 4. November 2008