Tödliche Freundschaft - Teil 6

Anne-Katrin Kreisel

„Hast du die Meldung im Radio gehört? Hoffentlich wird Nicole bald gefunden“, begrüßt mich Maria. ~H2~Ja, ich habe sie gehört, aber hoffentlich wird sie NIE gefunden. Oder zumindest nicht in den nächsten zwei Monaten.~ „Ja, habe ich. Wollen wir nur hoffen, dass ihr nichts passiert ist“, antworte ich stattdessen. Maria lächelt traurig: „Ihre Mutter ist auch schon ganz am Ende.“ Stimmt, an die betroffenen Mütter habe ich gar nicht gedacht...

Jeden normalen Menschen würde das schlechte Gewissen plagen. Aber was ist schon normal? Ich auf jeden Fall nicht. Mein Plan geht weiter. Nummer 2 auf meiner Liste wartet ungeduldig. Bettina. Für sie habe ich mir auch etwas Nettes einfallen lassen. Aber zuerst muss ich sie in den Wald locken. Weit weg von den Häusern. Wieder die Verehrernummer? Nein, das wäre zu auffällig... Eine Radtour mit anschließendem Picknick? Auch nicht besser, denn Bettina würde bestimmt ihrer Mutter sagen mit wem sie eine Radtour macht. Und wenn ich dann ohne sie wiederkomme und man die Leiche findet fällt der Verdacht – ja auf wen wohl? – auf mich. Aber ein Anruf auf ihrem Handy... Mit unterdrückter Nummer, natürlich. Ja! Wo liegt mein Handy?

„Ja?“ „Hallo Bettina. Komm doch bitte morgen direkt nach der Schule in den Wald. Zu der alten Hütte. Ich habe eine kleine Überraschung für dich. Aber erzähle besser keinem von unserem Treffen. Alles klar?“ „Was denn für eine Überraschung? Und wieso im Wald?“ „Komm bitte. Und kein Wort zu irgendjemandem.“ Ich lege auf. Ihre Neugierde wird siegen. Bei der Stimmenverstellung habe ich mein Bestes gegeben. Die 3 Jahre Chor haben mir jetzt sehr geholfen meine ziemlich hohe Stimme auf Alt- bis Basstiefe zu stellen. Ich seufze. Wie kann ich nur... Nein, jetzt nicht doch noch ein schlechtes Gewissen! Ich lege meine Lieblings-CD in den Player ein und stelle auf volle Lautstärke. Die Stimme aus meinem Kopf kann ich somit übertönen. Aber nicht lange. Ich schaue auf den Wecker. 19 Uhr. Eindeutig noch keine Schlafenszeit. Meine Eltern sind noch arbeiten. Ich brauche dringend irgendeine Ablenkung, sonst drehe ich durch! Ich gehe in die Küche. Wo hat meine Mutter doch gleich ihre Einschlaf- und Beruhigungstabletten? Ach ja, in der Schublade. Ich drücke zwei der Schlaftabletten aus der Verpackung und schlucke sie mit einem Glas Wasser runter. Morgen wird es ein anstrengender Tag werden. Ich muss ausgeschlafen sein. Zurück in meinem Zimmer lege ich mich angezogen auf mein Bett und warte, dass mich der Schlaf überwältigt.

Aber, im Gegenteil. Plötzlich bin ich in diesem Wald. Mit Bettina. Wir picknicken. Sie lacht, scheint vollkommen sorgenlos und glücklich, aber plötzlich wird sie ganz ernst und schaut mir fest in die Augen. Es wird schlagartig dunkel, Maria lehnte ein paar Meter von uns entfernt an einem Baum und lächelt. Wie ein Kind, bevor es ein wehrloses kleines Lebewesen zerquetscht. Ich bekomme Angst. Zu Recht. Bettina zieht ein großes Messer aus ihrer Hosentasche und hält es mir mit einem gehässigen Lachen an die Kehle...

Weg mit diesen schaurigen Gedanken! Ich schleiche in die Küche und fülle ein Glas mit Wasser. Auf dem Rückweg in mein Zimmer lege ich ein Ohr an die Schlafzimmertür meiner Eltern. Gleichmäßiges Atmen meiner Mutter und das leise Schnarchen meines Vaters sind zu hören. Wenn die wüssten, dass ihre Tochter sich zu einer kriminellen Göre entwickelt hat! Als ob es nicht schon reichen würde, dass der vier Jahre ältere Bruder ab und zu Ärger macht.

Nach der sechsten Stunde haben wir heute Schluss, ich kann mir also noch ganze 45 Minuten Gedanken über mein Vorhaben machen, denn Bettinas Klasse hat sieben Stunden. Zu Hause stelle ich fest, dass ich sturmfreie Bude habe. Sehr gut. Weder Bruder noch Eltern sind da. Ich atme auf. So, was mache ich jetzt? Meine Mutter hat doch so ein großes Küchenmesser. Ach ja, und wie willst du das transportieren?, fragt mich meine innere Stimme. Ich zucke mit den Schultern. Jetzt lass dir mal auf die Schnelle was einfallen! Findest du nicht, dass du ein bisschen voreilig warst mit dem Anruf? Am liebsten würde ich diese blöde Stimme knebeln und in einem Teich versenken. Aber das würde bedeuten, dass ich mir meinen Kopf abreißen, ihm eine Socke in den Mund stecken und ihn zum nächstgelegenen Teich tragen müsste. Davon hätte ich aber nicht viel, weil ich es wahrscheinlich bloß bis zum Abtreter vor der Wohnungstür schaffen und dann tot zusammenbrechen würde. Ich seufze. Die Stimme hat Recht. Aber Moment! Ich habe doch ein Klappmesser! Das dürfte auch reichen, um Bettina zu durchbohren. Ich glaube, es liegt in meiner Schreibtischschub-lade. Ja, mein Gefühl hat mich nicht getäuscht, da ist es. Ich stecke es in meine Hose. Dazu gesellt sich noch ein Feuerzeug, das kann später noch nützlich werden. Aber wenn ich es wirklich be-nutzen will, muss ich auch noch eine Flasche Brandbeschleuniger mitnehmen. Handschuhe, Plastiktüten, Mütze und die Lederjacke kommen wieder zum Einsatz. Ich schaue auf die Uhr. Mir bleiben noch 20 Minuten. Die brauche ich, bis ich im Wald an der richtigen Stelle bin.

Ich steige auf mein Fahrrad. Ich werde es am Waldrand liegenlassen, damit es keine Abdrücke im weichen Boden hinterlässt. Ich fühle noch einmal mit einer Hand nach dem Messer. Ja, es ist noch da. Das Feuerzeug ist auch an Ort und Stelle.

Da ist ja der verdammte Wald. Jetzt wird’s ernst. Ich ziehe meine Mütze tiefer ins Gesicht. Das Fahrrad verstecke ich hinter einem Busch und laufe zu der verfallenen Hütte. Bettina ist noch nicht da. Das ist gut, so kann ich mich in aller Ruhe verstecken und überraschend angreifen. Was habe ich am Telefon zu ihr gesagt? Ich habe eine kleine Überraschung für dich? Ja, eine Überraschung wird’s wirklich. Aber keine kleine. Eine tödliche. Da kommt sie ja. Erstaunlich, dass man so neugierig und leichtsinnig sein kann! Sie hat ja nicht die geringste Ahnung, was sie erwartet. Sie schaut sich nach demjenigen um, von dem sie glaubt angerufen worden zu sein. Bettina entdeckt mich zum Glück nicht. Jetzt steht sie mit dem Rücken zu mir. Ich ziehe das Messer aus der Hosentasche und klappe es auf. Langsam schleiche ich auf sie zu. Bettina hört mich nicht. Wahrscheinlich hört sie genauso gerne laut Musik wie ich und ist schon ein bisschen taub. Jetzt bin ich nur noch 30 cm von ihr entfernt. Und los! Ich ramme ihr das Messer mit voller Wucht in den Rücken. Sie schreit ohrenbetäubend auf, taumelt und fällt zu Boden. Mit dem Gesicht liegt sie im Matsch. Das Blut läuft ihr den Rücken entlang. Ich ziehe das Messer aus ihr raus und steche abermals zu, möglichst da, wo sich das Herz befindet. Volltreffer. Sie zuckt noch einmal, als ich meine Waffe aus ihrem Fleisch ziehe, und dann ist sie ruhig und unbeweglich. Ich drehe sie auf den Rücken. Ihre Augen sind starr und vor Schreck geweitet. Mir fällt das Feuer-zeug ein. Ich ziehe die Handschuhe aus, lege sie ihr auf den Bauch und hole es aus der Jeans. Dazu kippe ich die Flasche mit Brandbeschleuniger über den leblosen Körper. So, jetzt lege ich noch ein paar Zweige und Äste dazu. Mal schauen, ob sie so brennt, wie ich mir das vorstelle... Die Flamme leckt an ihrem dünnen Mantel. Leicht entzündlicher Stoff, das dürfte kein Problem sein, aber der Wind macht mir Sorgen. Egal, probieren geht über studieren! Oder in diesem Fall würde es heißen: Probieren geht über allzu lange nachdenken. Und tatsächlich: Der Mantel fängt Feuer.

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Autorin / Autor: Anne-Katrin Kreisel - Stand: 5. März 2009