kaltherz  - Teil 4

von Moira Frank

„Alles in Ordnung“, brachte sie mühsam hervor. Sie konnte kaum noch sehen. Regen lief ihr in die Augen. Einer der Kollegen von der Spezialeinheit half ihr hoch und führte sie hinüber zu einem Wagen. Sie sank gegen das nasse Blech, während schon die ersten Wagen die Verfolgung aufnahmen und sie halb hinhörte, wie der Mann hinter ihr per Funk Verstärkung rief.
„Scheiße“, brachte sie hervor, schlug die Faust gegen die Scheibe. „Verdammte Scheiße!“

„Bist du sicher, dass du nichts trinken willst? Keine Aspirin?“
„Gottverdammt, Alex, es ist nur ein Kratzer.“
Alex zog einen Stapel Akten heran, während sie sich wieder dem Computer zuwandte. Dreds Fahndungsfoto grinste sie an. Auf dem Bild war sein Haar kürzer, etwas über kinnlang, sein Gesicht nicht ganz so schmal und eingefallen. Für ein ungeübtes Auge sah er nicht aus wie ein Killer. Doch sein verzerrtes Grinsen und seine Augen verrieten Jelen das Gegenteil. Ein Mann Ende dreißig, groß, hager, athletisch, bis auf seine dunklen Augen und die bräunlich gesträhnten, dunklen Haare nicht auffällig. Ordentlich, aber lässig gekleidet, bevorzugt dunkel. Diese dämliche Beschreibung hatte sie oft genug gehört.
Sie biss die Zähne zusammen bis ihr Kiefer protestierte und fragte sich, warum er auf dem Bild grinste. Jelen hielt sich den schmerzenden Kopf. Sie hätte ihm am liebsten das Lächeln aus dem Gesicht geschnitten.
„Hatten die kein anderes Bild?“, fauchte sie Alex an.
Alex ächzte gereizt: „Ich weiß, dass du nervös bist, das bin ich auch. Das sind wir alle.“
„Du siehst wirklich aus, als würdest du dir Sorgen machen“, schnauzte sie zurück und war drauf und dran, aufzustehen und noch einmal zu Fox hinüber zu gehen, als die Tür aufging und dieser den Raum betrat. Unter dem Arm einen weiteren Aktenstapel.
Sam Fox, mit zweiundvierzig Jahren schon am längsten im Team, sah müde und mürrisch aus. Das tat er allerdings fast immer. Er war leicht auf deutlich über fünfzig zu schätzen.
„Was Neues?“, fragte Fox ohne sie anzusehen und legte die Aktenstapel auf den Tisch neben den Computer, aber es klang, als kenne er die Antwort ohnehin schon.
Allen sah man die Nervosität an. Fox sah noch zermürbter aus als ohnehin. Jelen wusste, dass er sich ebenso große Vorwürfe machte wie sie sich.
Sie schüttelte den Kopf und bereute es sogleich. Leichte Gehirnerschütterung hatte der Arzt diagnostiziert. Eigentlich hätte sie Dienstschluss.
„Der Wagen wurde mehrmals gesichtet. Immer innerhalb der Stadt, aber die Spur verliert sich immer wieder. Wir haben alle verfügbaren Leute unterwegs.“ Jelen starrte auf den Monitor, der sich auf Bildschirmschoner geschaltet hatte, ohne ihn wirklich zu sehen. „Und ich habe noch eingewilligt, dass wir sie mitnehmen.“ Sie rieb sich die Augen. Gott, war sie müde. Am liebsten hätte sie geheult.
„Das waren nicht Sie, die nicht aufgepasst haben“, beschwichtigte Fox sie mit seiner wie immer unwirsch klingenden Stimme. „Wir tun, was wir können. Jetzt bei jemandem die Schuld zu suchen, bringt uns nicht weiter.“
„Wir haben noch gar nichts“, stellte Alex bitter fest, der am Nachbarcomputer eine Aufnahme der Straßenverläufe mit roten Punkten versah, wo die Sichtungen des Wagens gemeldet waren, und immer wieder verschiedene Raster und Berechnungen darüber legte. „Wir sollten warten, bis er Kontakt zu uns aufnimmt. Er kommt niemals weit mit dem Wagen. Das Kennzeichen ist überall durchgegeben.“
„Er hatte noch nie eine Geisel“, gab Jelen zu bedenken. Ihre Kehle schmerzte. Es ging auf Nachmittag zu und es regnete. Vierzehn Uhr achtzehn, von Dred keine brauchbare Spur.
„Er ist ein Serienmörder“, erwiderte Fox ruhig. „Er hat acht Menschen auf dem Gewissen. Seien wir realistisch. Laure ist von mehreren Schüssen getroffen. Selbst wenn sie noch am Leben ist, wissen wir nicht, was gerade in ihm vorgeht.“
„Vielleicht lässt er sie zurück“, warf Jelen ein und wandte den Blick wieder zum Monitor. Der Bildschirmschoner verbarg das Fahndungsfoto.
Dreds Opfer waren immer junge Verliebte. Er tauchte aus dem Nichts auf, tötete und verschwand, ohne die Leichen zu verstecken.
„Er ist kein Spieler. Wenn er sie nicht braucht, glaube ich nicht, dass er sie tötet. Das ist nicht seine Art zu denken.“
„Mach dir keine solchen Hoffnungen“, entgegnete Alex.
„Wir warten hier wie die Idioten auf einen Anruf von einem Irren!“, fuhr Jelen auf.
„Was passiert ist, können wir nicht ändern. Wir warten auf Kontaktaufnahme. Das ist beschlossen.“ Fox musterte sie. „Sie sollten nach Hause gehen“, sagte er schließlich. „Sie sehen nicht gut aus.“

Die Stadt versank im Regen. Selbst im Treppenhaus roch es nach Regen. Vermischt mit Rost und Moder. Es war ein einsames Viertel heruntergekommener Reihen von Häuserblocks. Keiner machte sich die Mühe, sie abzureißen. Das Wasser untergrub die Fundamente. Alles faulte. Die Ratten verließen das sinkende Schiff. Es war kalt und zugig, von den Wänden faulte die Tapete. Putz rieselte von der Decke. Sein Atem hing in Nebelwolken in der Luft. Draußen trieb schmutzig der Fluss.
Er sog die schimmelige Luft ein. Er hatte die verrotteten Fenster in der Küche mit ein paar aufgeweichten Kartonteilen abgedichtet. Die winzige, zugige Wohnung im vierten Stock war völlig heruntergekommen, in den unteren Stockwerken hatten sich mit Sicherheit die Junkies eingerichtet oder irgendwelche Penner. Sie kümmerten ihn nicht. Zugedröhnt merkten sie eh nie etwas.
Es mochte bessere Verstecke geben, aber dieses hier hatte etwas, das ihm gefiel, auch wenn die Innenausstattung miserabel war. Fast ein Jahr war vergangen, seit er das letzte Mal hier gewesen war. Er ging in die Küche und suchte eine Packung Streichhölzer, fand aber nichts außer ein paar Kakerlaken und einer verbogenen Gabel. Seine Laune schlug um. Diesmal würde es nicht ganz so einfach werden.
Als er auf das völlig verdreckte Parkett des Flurs trat, fiel sein Blick auf das Mädchen...

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Autorin / Autor: Moira Frank - Stand: 27. Juni 2010