Hacken für die Gleichberechtigung?
Interview mit Lisa Talheim (19) über Mädchen, HackerInnen, Privacy und die Lust an Spielereien und abgehobener Technik.
Lisa ist Mitglied im Chaos Computer Club, arbeitet als Systemprogrammiererin und studiert Informatik.
*Wie bist du dazugekommen mit Computern zu arbeiten?*
Ich bin faktisch mit Computern aufgewachsen. Mein großer Bruder hat nach den anfänglichen Spielen begonnen, Programme zu schreiben, und mir das dann gezeigt. Ich fand das damals so toll, dass ich das auch machen wollte. Meinen ersten eigenen Computer hatte ich mit zehn oder elf und dann hab ich angefangen zu programmieren. Erst mal in Basic, später in anderen Sprachen. Mit 15 hab ich zum erstenmal Linux angeguckt und festgestellt, dass es zum Programmieren sehr viel cooler ist und bin dabei geblieben.
*Es ist ja durchaus ungewöhnlich, dass du dich als Mädchen so für Computer interessierst. Wieso glaubst du, dass es so wenige Mädchen gibt, die sich damit beschäftigen?*
Das habe ich noch nicht so richtig herausgefunden. Ich habe oft in Gesprächen mit anderen Mädchen mitgekriegt, dass sie Computer theoretisch schon interessant finden, aber die Vorstellung haben, dass sie sich als Mädchen für etwas anderes interessieren müssten. Das ganze Feld ist mystisch belegt. Wer das kann, wird ziemlich bewundert. Dann sagen die Mädchen oft: „Nee, das kann ich nicht, dazu bin ich zu doof.“ Weil Mädchen so was nicht machen.
Das gilt nicht nur für Computer, sondern allgemein für naturwissenschaftliche oder technische Sachen. Einige Mädchen erzählten mir, dass sie zu ihren Eltern sagten: „Ich will Biologie-Leistungskurs machen“ oder „Ich will Physik-Leistungskurs machen“ und die Eltern darauf antworteten: „Ach, mach mal lieber Deutsch!“
Man ist auf jeden Fall Außenseiter, wenn man sich mit Computern beschäftigt. Man kann mit den anderen Mädchen nicht mehr so viel anfangen. Man unterhält sich zwar schon noch über manche Sachen, aber so richtig auf der gleichen Wellenlänge ist man nicht. Und auch mit den „normalen“ Jungs wird es schwierig, weil sie ziemlich empfindlich sind, wenn man besser mit dem Rechner umgehen kann als sie. Für Mädchen ist es schlimmer als Außenseiter zu gelten als für Jungs. Wenn Jungen sich extrem mit einer Sache beschäftigen, dann sind sie vielleicht exzentrisch und selbstbewusst. Mädchen haben eher das Bedürfnis zu kommunizieren.
*Was ist denn der Chaos Computer Club, wo du auch mitmachst?*
Der CCC ist im wesentlichen eine Austauschplattform, wo sich Leute treffen, die sich mit Computern beschäftigen. Daraus entwickeln sich dann Projekte. In Berlin gibt es etwa 40 Leute, die sich regelmäßig treffen, darunter vier oder fünf Frauen.
*Was machst Du da?*
Verschiedene Sachen: Mein letztes Projekt waren Programme, um drahtlose Netze zu entdecken – sogenannte "war driving tools". Funkwellen kann man schlecht irgendwo aufheben, die fliegen durch die Gegend. Mit der entsprechenden Soft- und Hardware kann man sich in Netze anderer Leute einbuchen, auch wenn die das nicht unbedingt wollen. Man kann so zu interessanten Daten kommen.
Sonst beschäftige ich mich gerade mit Privacy-Netzen, um diesen ganzen Bewachungsbestrebungen entgegenzuwirken. Zur Zeit ist das ganze ein Rechercheaufwand und der Versuch, diverse Lösungen zu finden. Das eigentliche Programmieren ist dann ja nur noch Übersetzungsarbeit.
*Was machst du konkret?*
Im Rahmen der Hacktivsmo-Gruppe gab es vor einem Jahr ein internationales Treffen. Es geht darum, eine benutzerfreundliche Software zu entwickeln, mit der jeder User sich sicher und anonym im Netz bewegen kann. In vielen Staaten haben die Bürger nur Zugang zu gefiltertem Internet oder bekommen sehr schnell Ärger, wenn sie sich Sachen angucken, die politisch nicht genehm sind. Anonymer Zugang zum Internet wird auch in westlichen Staaten immer dringlicher.
Alles ist hacken?
*Der Begriff „Hacker“ hatte vor einiger Zeit im Medienkultur- und Kunstumfeld eine Konjunktur unter dem Motto „Alles ist hacken“ oder Social Hacking ... Würdest du dich als Hackerin bezeichnen?*
Der Begriff ist so überstrapaziert, dass er keine besondere Bedeutung mehr trägt. Wir haben uns spaßeshalber öfter darauf geeinigt, dass wir uns nicht mehr als Hacker bezeichnen, sondern als "Technik interessierte Individualisten". Vor allem nach dem 11. September ist noch dazugekommen, dass Hacker total negativ besetzt und mit Terrorist gleichgesetzt wird. Unter dem Motto "wir müssen jetzt Hacker als Terroristen definieren" und höhere Strafen aussetzen.
Es gibt die Vorstellung, dass ein Hacker die ganze Gesellschaft runterfahren kann. Das ist natürlich totaler Quatsch. Aber viele Leute glauben das. Das Schlimme ist, dass einige Hacker das selbst verbreiten. Die fühlen die allgemeine Ohnmacht, dass man doch nichts machen kann und konstruieren sich dann eine Welt, in der sie mit ihren technischen Fähigkeiten abenteuerliche Dinge tun können.
*Die Hamburger Künstlerin Cornelia Sollfrank hat in einem Interview erzählt, sie hätte jahrelang recherchiert und keine weiblichen Hacker gefunden - auch keine technisch versierten Frauen.*
Dann hat sie schlecht recherchiert, würde ich sagen. Vielleicht hat sie auch den Begriff Hacker mit Script Kiddies [Teenager, die mit Hilfe von vorgefertigten Programmen, die man im Internet runterlädt, Angriffe auf Rechner starten, um in sie einzudringen - Anm.] belegt. Dass sie da keine findet, kann ich mir vorstellen. Script Kiddies kenne ich auch nur Jungs, das machen keine Mädels. Dazu gehört auch immer viel Angeberei und da sind die Jungs ja besser als Mädchen. Ich hab kürzlich von einer Virusschreiberin in Belgien gehört, aber Mädchen, die richtig in Computer einbrechen, kenne ich nicht.
Aber dass es keine technisch versierten Frauen gibt, ist schlichtweg Quatsch.
*Ganz naiv gefragt: Im CCC brecht ihr also nicht in Computer ein?*
Reihenweise in Computer einzubrechen ist eher verpönt - um mal den Forschungsdrang zu befriedigen, wenn grad eine neue Technik bekannt geworden ist, passiert das schon. Eindringen in andere Rechner wird mit den Script Kiddies assoziiert und die werden eher ein bisschen ausgelacht. Bei den älteren Hackern geht es nicht darum, stur in irgendwelche Systeme einzubrechen, sondern neue interessante Ideen umzusetzen und eventuell auch Sicherheitslücken aufzuspüren und dies zu demonstrieren.
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Autorin / Autor: Vali Djordjevic / Ushi Reiter - Stand: 28. Januar 2002