Die versteckten Botschaften bei Wikipedia
Studie über den Einfluss von Unternehmen und Parteien bei der Mitmach-Enzyklopädie
Wie lautet Artikel 1 des Grundgesetzes? Wann war nochmal der Todestag von Amy Winehouse? Wieviel Bundesländer gibts eigentlich in Deutschland? Solche und noch viele andere Fragen stellt man in der Regel Wikipedia. Die „Mitmach-Enzyklopädie“ gehört weltweit zu den Top Ten der beliebtesten Internetseiten, die Tag für Tag von Millionen von Menschen besucht wird. Wikipedia ist jederzeit und überall auf der Welt abrufbar und aus unserem Wissens-Alltag nicht mehr wegzudenken. Natürlich prägt das Online-Lexikon zunehmend unsere Meinungsbildung, und oftmals glauben wir unkritisch all das, was Wikipedia uns erzählt. Doch was ist zum Beispiel mit den Unternehmen oder den Lobbyverbänden, die die Struktur des Mitmach-Wissensnetzes ausnutzen und "ihre" Wahrheiten verbreiten? Eine neue Studie der Otto Brenner Stiftung über „Verdeckte PR (Public relations) in Wikipedia“ widmet sich dem Phänomen dieser Öffentlichkeitsarbeit, die als solche nicht erkennbar sein soll. „Je länger ich mich mit dem Thema Wikipedia beschäftigt habe, desto mehr habe ich den Eindruck gewonnen, dass PR in Wikipedia weit verbreitet ist. Es gibt einen regelrechten Markt darum“, sagt der Autor der Studie, Marvin Oppong. Der Journalist und Dozent hat konkrete Einzelfälle recherchiert und zeigt, wie Unternehmen, Politiker und andere Akteure auf das elektronische Weltwissen Einfluss ausüben.
Die „Fallstudien“, etwa zu Daimler, RWE und den Steyler Missionaren, erklären leicht nachvollziehbar und transparent, wie Wikipedia in der Praxis funktioniert und wie PR-Leute die Enzyklopädie für ihre Zwecke missbrauchen. Auch auf „Merkwürdigkeiten“ bei Änderungen des Wikipedia-Artikels zu Christian Lindner (FDP) wird eingegangen.
Die Studie will aber nicht nur auf die Gefahren verdeckter PR und gezielter Manipulationen hinweisen, sondern geht auch der Frage nach, "ob interne Strukturen den Missbrauch begünstigen und ob die Wikipedia-Community sich überhaupt des Problems bewusst ist“, so Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung. Das Ergebnis der Studie belegt, dass die internen Strukturen bei Wikipedia gegenwärtig nicht in der Lage sind, „PR in Wikipedia effektiv zu verhindern und Manipulationen wirksam unterbinden zu können“. Der Verein Wikimedia Deutschland gehe das Thema „nur zögerlich mit einem kleinen Projekt an“, stellt Oppong fest. Und auch die Wikipedia-Community könne es nicht schaffen, „dem Problem selbst Herr zu werden“, zieht Oppong ein weiteres Fazit. „Unternehmen, Verbände und Parteiapparate sind personell zu gut bestückt und finanziell zu gut aufgestellt, als dass die Wikipedia-Community mit ihren Freiwilligen gegen die zahlreichen Manipulationsversuche ankommen könnte.“
Aus der Beobachtung, dass die Zahl der Unternehmenspressestellen und PR-Agenturen, die unmittelbar Einfluss auf Wikipedia-Einträge ausüben, riesig groß und der harte Kern der Wikipedia-Community viel zu klein ist, um effektiv gegensteuern zu können, leiten Stiftung und Autor die Forderung nach spürbaren Konsequenzen und einem nachhaltigen Umdenken ab. Sie entwickeln zehn konkrete Verbesserungsvorschläge, wie die Chancen von Manipulationen für PR-Zwecke begrenzt werden können. „Wir wollen“, so Jupp Legrand im Vorwort der Studie, „nicht nur auf Gefahren aufmerksam machen, die mit verdeckter PR bei Wikipedia verbunden sind, sondern auch Anstöße geben, wie der Missbrauch eingedämmt werden kann“. Mit den Vorschlägen werden sowohl die Nutzer als auch die Betreiber und Autoren der Enzyklopädie angesprochen.
Mehr auf LizzyNet
Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 15. Januar 2014