Weberin
"Schnell weben ist wie Tanzen"
Während die Großeltern derjenigen unter euch, die auf dem Land leben, vielleicht noch Geschichten vom Weben erzählen, können sich die meisten sicher nicht sehr viel darunter vorstellen. Allenfalls hat die eine oder andere in der Schule mal das Gedicht "Die Weber" von Heinrich Heine durchgenommen oder über den schlesischen Weberaufstand gesprochen. Oder man erinnert sich noch dunkel an den Webrahmen, mit dem man als kleines Mädchen Teppiche für die Puppenstube gewebt hat.
Dabei ist das Weben eines der ältesten Handwerke überhaupt und eigentlich in allen Kulturen verbreitet. In Zeiten der Mechanisierung gerät zunehmend in Vergessenheit, was jahrtausendelang zum Alltag der Menschen gehörte. Was also hat Weben mit Tanzen zu tun?
Kommt man bei uns in die Werkstatt, ist es meistens ziemlich laut. Unter anderem liegt das daran, dass wir viele Leute sind - neben der Meisterin, einem Praktikanten und mir als Lehrling arbeiten hier noch 6 Behinderte und zwei Betreuerinnen. Aber es gibt noch einen weiteren Grund: Webstühle machen ganz schön viel Lärm. <<Scht-klack-scht-klack-scht-klack>> schießt das Schiffchen schnell hin- und her, die hölzernen Tritte und Schäfte klappern rhythmisch aneinander. Zwischendurch hört man mal <<riiitsch-klack>>, wenn die nächsten 10 cm des Schals fertig gewebt sind und die Kette weitergestellt werden muss. Oder die Spulmaschine surrt auf, weil das Schussgarn aufgebraucht ist und neu gespult werden muss. Manchmal kommt noch das Rattern einer Nähmaschine hinzu, an der die fertigen Gewebe weiterverarbeitet werden. UND da kichert sich mal wieder jemand die Seele aus dem Leib! Eine andere beschwert sich, dass ihre Wolle zickig ist. Die nächste erzählt vom neuen Harry-Potter-Film. Jemand muss dringend auf Klo. Und dann klingelt auch noch das Telefon... wie soll man sich denn bloß auf die Arbeit konzentrieren?
Konzentration ist so ziemlich das Wichtigste, was eine Weberin braucht. Ein Fehler - und die Arbeit von Stunden kann verloren sein. Also hilft nur ausdauernde Ignoranz und freundliche Zurückweisung, wenn man gerade dabei ist, 20 Meter lange Fäden für eine Handtuchkette abzumessen und jemand meint, einen mit einer stürmischen Umarmung beglücken zu müssen. Oder man webt ein kompliziertes Muster und muss vielleicht 12 verschiedene Tritte in einer sich wiederholenden, bestimmten Reihenfolge treten... oder 1282 Fäden in vorgeschriebener Reihenfolge mit einem Haken durch winzige Metallösen ziehen. Da kann man Ablenkung einfach überhaupt nicht gebrauchen.
Ja, ihr habt richtig verstanden, ich sitze den ganzen Tag am Webstuhl. Aber das heißt nicht, dass ich mich nicht bewege: Von 8 Uhr 45 bis um 17 Uhr 30 tue ich manchmal (fast) nichts anderes, als das Schiffchen hin- und herzuschießen, während ich mit meinen Füßen abwechselnd verschiedene Tritte trete und die Lade vor- und zurückbewege, um die Fäden an das Gewebe anzuschlagen. So kann ich zuschauen, wie z.B. ein Schal Centimeter um Centimeter wächst. Man sieht, was man schafft. Wenn ich lange Zeit das gleiche Muster webe, werde ich dabei immer schneller, weil sich meine Füße an den Rhythmus des Tretens gewöhnen. Irgendwann hat man das Gefühl, man würde gleich abheben und losfliegen. Das war das, was meine Meisterin mit "Tanzen" meinte. Man kann dabei ganz schön ins Schwitzen kommen und ist auch meist ziemlich außer Atem, wenn man erstmal eine Weile Tempo drauf hatte. Aber es macht sehr viel Spaß. Manchmal fällt es mir dann fast schwer, mich loszureißen... Aber natürlich mache ich auch Pausen. Um 10.45 Uhr findet für alle Werkstattmitarbeiter eine gemeinsame Frühstückspause statt, und um 13 Uhr essen wir zusammen eine warme Mahlzeit.
Von der Idee bis zur fertigen Ware entsteht eigentlich alles hier in der Werkstatt. Entweder kommen Kunden mit einer Vorstellung zu uns und geben etwas in Auftrag, das wir dann realisieren, oder wir lassen uns einfach von der vorhandenen Fülle an Garnen, Farben und unterschiedlichen Materialien inspirieren, wenn wir ein Gewebe planen. In unserer Werkstatt weben wir vor allem Geschirr- und Handtücher, Schals, Tischsets, Kleiderstoffe, Teppiche sowie Tischläufer und Bänder, aus denen Taschen genäht werden. Jeder ist daran soweit beteiligt, wie es für ihn aufgrund der individuellen Fähigkeiten möglich ist. Manche der Behinderten können selbstständig arbeiten, andere brauchen Hilfe beim Weben. Kompliziertere Näharbeiten geben wir entweder an eine Schneiderin oder an die Textilwerkstatt, die zur gleichen Behinderteneinrichtung gehört wie wir. Bis auf das Nähen und Spulen geschieht alles von Hand und ohne Strom.
Hier geht's weiter
Autorin / Autor: Ackja - Stand: 29. September 2003