Weberin - Teil 2
...reich werden kann man mit Weben nicht...
Besucher fragen oft, wie lange es so dauert, bis ein Handtuch fertig ist. Dann müssen wir ihnen erst erklären, dass es manchmal tagelange Vorbereitungen braucht, bis die Kettfäden überhaupt erst im Webstuhl sind und man losweben kann. "Das Weben selbst ist wie die Belohnung für all die Arbeit, die man vorher hatte", sagt meine Kollegin.
Nur wenige Menschen wissen diese Arbeit heute noch zu schätzen. Denn was viel Zeit kostet und aus hochwertigen, fast ausschließlich natürlichen Materialien wie Baumwolle, Leinen und Wolle besteht, muss auch zum entsprechenden Preis verkauft werden. Das können sich viele nicht leisten. Der Markt für handgewebte Produkte ist daher klein, und man muss sich nach dem Geschmack seiner Zielgruppe richten und aktuelle Trends kennen, wenn man erfolgreich sein will. Viele Weberinnen verkaufen ihre Waren nicht allein vom Werkstattladen aus, sondern besuchen auch Kunsthandwerkermärkte und Ausstellungen. Reich werden kann man mit Weben nicht - man kann froh sein, wenn man davon Leben kann. Es gleicht eher einer Berufung als einem Beruf, denn es gehört eine ganze Portion Idealismus und Genügsamkeit dazu.
Für mich war nach der Schule eigentlich klar, dass ich ein Handwerk lernen wollte. Endlich mal was Schaffen! Sehen, was ich kann. Meinen Körper einsetzen, statt immer nur den Kopf. Und ich wollte etwas machen, bei dem ich Gestaltungsmöglichkeiten habe. Auf's Weben bin ich eigentlich eher zufällig gekommen, weil ich ein Praktikum in einer Weberei gemacht habe. Nach einem Monat konnte ich mir aber nicht wirklich vorstellen, das zum Beruf zu machen. Erst langsam ist die Entscheidung in mir herangereift, bis ich schließlich gemerkt habe, dass es einfach zu mir passt. Eigentlich habe ich alles, was eine gute Weberin so braucht: Kreativität, Geduld, Ausdauer, Fingergeschick, einen Sinn für Farben, Formen, Strukturen und Proportionen, und nicht zuletzt auch mathematische Grundkenntnisse.
Es war nicht leicht, einen Ausbildungsplatz zu finden. Von den wenigen Webermeisterinnen, die es gibt, sind noch weniger bereit, einen Lehrling einzustellen. Viele sind ein 1-Frau-Betrieb und entweder können sie sich aus finanziellen Gründen nicht leisten, einen Lehrling einzustellen, oder sie haben zu wenig Zeit, oder die Werkstatt ist zu klein, oder sie sind schon sehr alt... Ich habe verschiedene Handwerkskammern und die Weberinnung Norddeutschlands angeschrieben, um Adressen zu erhalten, und musste dennoch sehr viel recherchieren und herumtelefonieren, bis ich eine handvoll ausbildende Betriebe gefunden hatte, bei denen ich mich bewerben konnte.
Kein Wunder, dass das Handwerk der Weberin zur aussterbenden Spezies gehört. Nicht nur, dass Maschinen schneller, besser und billiger produzieren können. Es weiß auch kaum jemand, dass überhaupt noch Weber in Deutschland existieren, und so gibt es zur Zeit bundesweit gerade mal 12 Lehrlinge, alles Frauen und Mädchen. Mehrmals im Jahr finden sich alle im Wendland zwischen Lüchow und Dannenberg ein, nicht weit von dort, wo der Castor sein Unwesen treibt, auf einem kleinen Hof im Dorf Kukate. Dort findet dann jeweils für eine Woche der theoretische Unterricht für uns angehende WeberInnen statt - in alten Fachwerkhäusern zwischen Hühnern, Katzen und Kastanienbäumen lernen wir alles über verschiedene Webstühle, Muster, Farben, Garne...
Das Alter der Lehrlinge ist sehr unterschiedlich. Einige haben schon einen anderen Beruf gelernt und machen eine Umschulung; andere, wie ich, kommen gerade erst von der Schule. Jede hat ihre ganz eigene Geschichte, wie sie zum Weben gekommen ist, und was sie später mit ihren Kenntnissen anfangen will. Manche planen ein Textil- oder Modedesign-Studium und wollen die Weberausbildung nur als praktische Basis benutzen. Andere wollen sich mit einer eigenen Webwerkstatt selbständig machen. Wieder andere erfüllen sich einfach einen langjährigen Traum und wollen lediglich Hobbyweberin sein. Auch die Ausbildungszeiten sind nicht wirklich einheitlich. Normalerweise dauert die Ausbildung drei Jahre, sie kann jedoch bei entsprechender (Schul-)Vorbildung auf Antrag durch die Handwerkskammer verkürzt werden. Manche haben auch gar keinen Lehrvertrag abgeschlossen und eignen sich die Praxis weitgehend selbst an, machen lediglich Praktika.
Ich bin jetzt im 1. Ausbildungsjahr und kann mich von Anfang an daran gwöhnen, wie es ist, mit wenig Geld auszukommen - mein Lohn beträgt etwa 1 Euro pro Stunde, ich arbeite 8 Stunden täglich 5 Tage die Woche. Ohne die Berufsausbildungsbeihilfe des Arbeitsamtes könnte ich nicht mal die Miete zahlen. Insgesamt bin ich mit meiner Ausbildung aber sehr zufrieden - besonders gefällt mir die herzliche Atmosphäre in der Werkstatt mit den Betreuten. Obwohl ich selbst nicht für die Betreuung zuständig bin, lebe ich doch mit ihnen und bin für sie da. Ich habe viele Freiheiten, kann oft selbstständig arbeiten und habe genügend Leute dort, denen ich Löcher in den Bauch fragen kann. Und mein Arbeitsweg beträgt 1 Minute, weil ich nur von einer zur nächsten Tür muss! Meine Wohnung ist im Nebengebäude der Weberei. Das Mittagessen besteht zu 99% aus biologisch dynamisch angebauten Lebensmitteln und schmeckt meistens lecker. In meiner wenigen Freizeit betreue ich den Club Modedesign, erkunde Worpswede mit dem Fahrrad, kümmere mich um meinen kleinen Haushalt, schreibe Briefe, Emails und telefoniere - wenn ich nicht gerade von Familie oder Freunden besucht werde. Naja, und meine Nähmaschine ist auch öfters in Betrieb. Langweilig ist mir eigentlich nie!
Autorin / Autor: Ackja - Stand: 29. September 2003