Quallenchips und Seegurkensuppe
Forscher_innen am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) identifizieren Zukunftsnahrung aus dem Meer und wie sie nachhaltig gezüchtet werden könnte
Lecker? Mangrovenqualle in der Meerwasseranlage des ZMT | Foto: Achim Meyer, ZMT
Immer mehr Menschen, immer weniger Ressourcen. Kann die Ernährung der Weltbevölkerung unter den gegebenen Umständen überhaupt noch langfristig sichergestellt werden und wenn ja, wie?
Am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) gehen Wissenschaftler_innen der Frage nach, inwieweit das Meer mit seinem ungeheuren Reichtum an Lebewesen Nahrungsressourcen birgt, die bisher noch kaum genutzt wurden, und wie diese nachhaltig verwertet werden können.
Quallen als Chips oder Proteinpulver
Das Team des ZMT nahm ein Tier ins Visier, das als vermehrungsfreudige Plage und nesselnder Urlauberschreck ein eher negatives Image hat – die Qualle. Sie kommt in allen Weltmeeren vor und gehört zu den ältesten Lebewesen der Erde. „Zwar bestehen Quallen zu rund 97% aus Wasser, ihre Trockenmasse hat aber ein interessantes Nährwertprofil, das dem anderer Meeresfrüchte gleicht“, so der Meeresbiologe Holger Kühnhold. „Quallen sind fettarm und bestehen hauptsächlich aus Eiweiß, das teilweise einen hohen Anteil an essentiellen Aminosäuren aufweist. Sie enthalten außerdem viele Mineralstoffe und mehrfach ungesättigte Fettsäuren.“
Raubfisch essen ist nicht besonders nachhaltig
Der Mensch muss seinen Körper mit reichlich Nahrungseiweiß versorgen, das er unter anderem für den Aufbau von Muskeln, Organen, Knochen und Haut benötigt. In Hinblick auf Meeresressourcen decken wir unseren Proteinbedarf häufig durch den Verzehr von großen Raubfischen, wie Lachs oder Thunfisch. „Leider ist das überhaupt nicht nachhaltig“, so Kühnhold, „Diese Fische benötigen zum Wachsen ein Vielfaches ihres Eigengewichts an kleinen Fischen. Auch in Aquakultur muß dieser Bedarf mit Fischmehl und -öl von Wildfischen gedeckt werden.“ Nachhaltiger wäre es, wenn die kleinen Fische wie Sardinen oder Anchovis häufiger bei uns selbst auf dem Speiseplan stünden. Oder eben alternative eiweißreiche Meeresfrüchte wie Quallen, die weniger anspruchsvolle Nahrung benötigen.
Quallen als kalorienarmes Superfood
In dem Kooperationsprojekt der Leibniz-Gemeinschaft „Food for the Future“, das die Möglichkeiten neuer Nahrungsmittelressourcen auslotet, widmet sich Kühnhold diesen noch weitgehend ungenutzten aber reichlich vorhandenen Nesseltieren, die im Gegensatz zu anderen Meeresbewohnern von menschlichen Eingriffen in das Ökosystem Meer zu profitieren scheinen. „Lediglich in der asiatischen Küche findet man öfter mal Quallen in Suppen und Salaten“, berichtet Kühnhold. „Dabei ist hinsichtlich ihrer großen Artenvielfalt davon auszugehen, dass ihr Potenzial für unsere Ernährung bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist. Für Europäer könnten sie als kalorienarmes Superfood in Form von Chips oder Proteinpulver attraktiv werden.“
Kühnhold ermittelt den Nährwert verschiedener Quallenarten und befasst sich mit den technischen Herausforderungen ihrer Zucht in Aquakultur. Große Hoffnungen setzt er dabei auf die Mangrovenqualle, Cassiopeia andromeda. Sie trägt kleine symbiotische Algen in ihrem Körper, die Photosynthese betreiben und ihr Energie liefern. Daher liegt sie meist mit ihrem Schirm am Meeresboden und streckt ihre Tentakel zur Meeresoberfläche, dem Sonnenlicht entgegen. Mit moderner LED-Technik könnte sie auch in einem urbanen Umfeld kultiviert werden.
Seegurken, Ginseng der Meere
Es gibt aber noch andere potentielle Eiweißspender aus dem Meer, die die Forscher_innen im Visier haben. Dabei rücken Seegurken, von denen es rund 1700 Arten gibt, in den Blick der Forscher:innen. Die walzenförmigen Stachelhäuter können über drei Meter lang werden und kommen in allen Meeren von der Arktis bis in die Tropen vor.
In Südostasien sind sie zum Beispiel als Einlage in Suppen und Eintöpfen so beliebt, dass manche Arten bereits überfischt sind. Dort werden sie als „Ginseng der Meere“ bezeichnet: reich an Proteinen, Spurenelementen und Stoffen, denen heilende Wirkung zugesprochen wird. So enthalten sie unter anderem Chondroitinsulfat, das gegen Arthrose wirken soll. Auch der europäischen Küche sind sie nicht ganz fremd. In Katalonien werden sie Espardenyes genannt und als kostspielige Delikatesse von Sterneköchen auf vielfältige Weise zubereitet.
Seegurken durchwühlen den sandigen Meeresboden nach Nahrung wie Detritus oder Mikroalgen, verschlingen das Sediment, verdauen die organischen Bestandteile und scheiden den Sand dann wieder aus. Das hat ihnen den Spitznamen „Staubsauger der Meere“ eingehandelt. Diese Gewohnheit macht sie jedoch besonders wertvoll für eine Form der Aquakultur, die ökologische Probleme wie Verschmutzung der Umwelt durch nährstoffreiche Abwässer zu umgehen versucht.
Wohngemeinschaft unter Wasser
Die integrierte Aquakultur (IMTA) kombiniert ganz unterschiedliche Zuchttiere und -pflanzen miteinander, die einen natürlichen Kreislauf bilden. Die Futterreste und Ausscheidungen beispielsweise von Fischen oder Garnelen werden von anderen Zuchtorganismen verwertet, wie Algen, Muscheln oder Seegurken. Somit gelangen weniger Abfallstoffe in die Umwelt, und das zugegebene Futter wird sehr effizient genutzt.
Das ZMT erforscht, welche Tiere und Pflanzen interessante Kandidaten für eine solche „Wohngemeinschaft“ wären, um die besten Synergieeffekte zu erzielen. Auch Algen könnten sich als gute Abfallverwerter für die integrierte Aquakultur eignen. Anders als Seegurken nutzen sie aber gelöste Nährstoffe.
Grüner Kaviar – ein besonderes Gaumenerlebnis
Algen weisen ein sehr breites Spektrum an nützlichen Inhaltsstoffen auf. In Asien sind sie fester Bestandteil der Ernährung. Am ZMT wird an einer Algenart geforscht, die umgangssprachlich „Meerestraube“ oder auch „Grüner Kaviar“ genannt wird. Die kleinen, runden Kugeln, die an einer Rispe hängen, schmecken leicht salzig und zerplatzen im Mund wie Kaviar. Sie stecken voller Proteine, Mineralstoffe, Antioxidantien und mehrfach ungesättigter Fettsäuren.
Grüner Kaviar kommt aus dem Indopazifik, er ist in Südostasien sehr gefragt. Mittlerweile findet man ihn vereinzelt auch schon in Deutschland, dann aber zumeist in der länger haltbaren, entwässerten Form. Gegessen wird grüner Kaviar aber am besten frisch, zum Beispiel in Salaten oder als Beilage zum Sushi. In Kooperation mit Algenfarmern testet das ZMT in Vietnam den Einsatz dieser Alge in der integrierten Aquakultur.
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Autorin / Autor: Pressemitteilung / Foto: Achim Meyer, ZMT